Die 60. Internationalen Filmfestspiele Berlin ermöglichen trotz unübersichtlicher Reiserouten erhellende Begegnungen mit dem Fremden.
(…) Von "The Oath" schließlich führt ein schmaler Pfad zu "Der Tag des Spatzen", dem Forums-Beitrag des Berliner Filmemachers Philip Scheffner. Scheffner reist weder in den Jemen noch nach Afghanistan, dennoch hat sein Film viel mit den Fragen zu tun, die Poitras aufwirft. Er erkundet die Kehrseite zu Jandal, also unsere Rolle im sogenannten Krieg gegen den Terror. Dazu fährt er zum Beispiel an die Mosel. Die Mittelgebirgslandschaft wirkte idyllisch, die Dörfer aufgeräumt, wären da nicht die Flugzeuge der Bundeswehr, die in regelmäßigen Abständen durch Täler und über Weinberge jagen. Aus dem Off wird erklärt: Die Schluchten, die der Fluss in die Landschaft schneidet, ähneln der zerklüfteten Landschaft in Afghanistan. Die Bundeswehr übt an der Mosel für den Auslandseinsatz. Scheffner bringt eine Militarisierung zum Vorschein, die für gewöhnlich verborgen bleibt. Und er umkreist hartnäckig die Frage, ob Deutschland Krieg führt, ohne sich auf eine Antwort festzulegen. Was ihm in "Der Tag des Spatzen" gelingt, ist eine Menge: Man blickt auf die vertrauten Landschaften und sieht darin etwas Fremdes, nämlich den Krieg, in einer sehr greifbaren, konkreten Gestalt. Und mehr noch: Man wird sich der schmerzhaften Dialektik bewusst, dass das Fremde zu einem selbst gehört.
die tageszeitung
Lust auf neue Wege (taz 10.02.2010)
Cristina Nord