Philip Scheffner drehte mit „Der Tag des Spatzen“ einen politischen Naturfilm
Am 14. November 2005 wird im niederländischen Leeuwarden ein Spatz erschossen. Er war in eine streng bewachte Halle eingedrungen, in der ein Fernsehsender Millionen Dominosteine für den sogenannten „Domino Day“ aufgebaut hatte. 23 000 dieser Steine fielen durch die Flügelschläge des Vogels um, dann wurde der Kammerjäger gerufen. Am selben Tag starb in Kabul ein deutscher Soldat in Folge eines Selbstmordattentates. Der Regisseur Philip Scheffner (43) verbindet diese beiden Ereignisse in seinem Film „Der Tag des Spatzen“. Mit den Methoden des Tierbeobachters macht er sich auf die Suche nach der Sichtbarkeit des Krieges in Deutschland. Was bizarr klingt, funktioniert. „Der Tag des Spatzen“ lässt durch seine ruhige Machart den Zuschauer einen neuen Blick auf den Allerweltsvogel Sperling finden. Er transportiert aber auch eine drängende, fragende Unsicherheit: Wenn am Hindukusch Krieg geführt wird, ist das in Deutschland sichtbar? Philip Scheffner ist passionierter Vogelbeobachter und Dokumentarfilmer. Das sei durchaus vergleichbar, sagt er beim Interview in seinem Wohnbüro in Berlin-Kreuzberg. „In Dokumentarfilm und Ornithologie gilt gleichermaßen, je besser man sich tarnt, desto besser ist das Ergebnis. Das funktioniert beim Vogelbeobachten jedoch nie. Du bist immer zu laut, der Vogel bemerkt dich, du versuchst es, aber es ist immer ein Scheitern. Beim Film ist es die Frage, wie lange man die distanzierte Haltung aufrechterhalten kann.“ Das gelingt Scheffner recht lange: Er zeigt Bilder von idyllischen Landschaften, manchmal geraten Zäune ins Bild, Wachen, Soldaten. Scheffner und seine Drehbuchautorin Merle Kröger sind Übungsplätze und Einrichtungen der Bundeswehr abgefahren. Gerne hätten sie mit Armee-Angehörigen vor der Kamera gesprochen. Die Bundeswehr aber verweigerte ihre Zustimmung. Die Diskussionen mit Presseoffizieren laufen als Übertitel mit, zeigen die Leerstelle der öffentlichen Debatte. Scheffner und Kröger beginnen in Hohwacht an der Ostsee, wo die Bundeswehr Zielschießen mit scharfer Munition aufs offene Meer übt und direkt daneben Urlauber am Strand liegen. Beide kennen, unabhängig voneinander, diesen Platz aus ihrer Kindheit. Heute üben hier auch Truppen kurz vor ihrer Verlegung an den Hindukusch. Sie drehen in der Umgebung des Einsatzführungskommandos in Geltow bei Potsdam, werden von der Wache bei laufender Kamera verjagt und stellen einem Nachbarn des Kasernengeländes die Frage: „Wenn in Afghanistan Krieg ist, spüren Sie hier auch etwas davon?“ Nichts, antwortet der Mann. Er lebt im tiefsten Frieden. Doch Scheffner und Kröger suchen weiter nach der Sichtbarkeit eines Krieges, der erst nach Abschluss der Dreharbeiten auch von der Regierung so genannt wird. „Diese Sichtbarkeit kann man am besten über die Ränder herstellen, über Landschaften, die Verbindung von Bundeswehr und Landschaft“, meint Scheffner. Immer wieder kehrt die Kamera dabei zu den Spatzen zurück, die sie überall aufspürt. Es ist eine doppelte Obsession, die den Film vorwärtstreibt. Dann aber, zuerst unmerklich, kippt der Film. Eine neue Person tritt hinzu, auch sie beobachtet Vögel durchs Fernglas, plötzlich aber scheinen die Beobachter zu Beobachteten zu werden. Denn Scheffners Gesprächspartner wurde im Juli 2007 bei Brandenburg/Havel festgenommen, weil er einen gescheiterten Anschlag auf Bundeswehr-Fahrzeuge verübt haben soll. Er ist inzwischen verurteilt. „Es gibt für mich einen großen Unterschied zwischen Gewalt gegen Sachen und Gewalt gegen Menschen“, sagt Philip Scheffner auf die Frage, warum er diesen Protagonisten ausgewählt hat. Er will dessen Haltung aber auch nicht gutheißen, er will den Zuschauer am Ende des Films aber mit einer, und sei es einer radikalen, Haltung konfrontieren. Ihn aus der Distanz reißen. Das gelingt.
Märkische Allgemeine 22.04.2010
Spatz und Krieg: Einen sieht man, einen nicht